Bei der Befundbewertung werden die erhobenen Untersuchungsbefunde im Lichte der einander ausschließenden Hypothesen der Fragestellung beurteilt. Hierbei kommt es darauf an, wie wahrscheinlich und wie erklärbar die tatsächlich angetroffenen Befunde jeweils sind, wenn die Hypothesen der Fragestellung und die Unterhypothesen der Entstehungsbedingungen sukzessive zugrunde gelegt werden. Wenn die Fragestellung die Schrifturheberschaft betrifft, geht es um die Hypothesen der Urheberschaft und Nichturheberschaft des Vergleichsschreibers.
Hypothese der Urheberschaft des Vergleichsschreibers
Unterhypothese der gewöhnlichen Schreibbedingung
Geprüft wird zunächst, wie wahrscheinlich und plausibel das Auftreten der vorliegenden Befunde ist, wenn der Vergleichsschreiber unter gewöhnlichen Schreibbedingungen geschrieben hat.
Unterhypothesen der besonderen Schreibbedingungen
Zu beurteilen ist, wie wahrscheinlich und plausibel das Auftreten der vorliegenden Befunde ist, wenn der Vergleichsschreiber unter den verschiedenen in Frage kommenden besonderen Schreibbedingungen geschrieben hat.
Hypothese der Urheberschaft einer anderen Person
Unterhypothese der gewöhnlichen Schreibbedingung
Geprüft wird, wie wahrscheinlich und plausibel das Auftreten der vorliegenden Befunde ist, wenn eine unbekannte andere Person unter gewöhnlichen Schreibbedingungen geschrieben hat. Hierbei geht es um den interindividuellen Seltenheitswert einer etwaigen Merkmalsentsprechung.
Unterhypothesen der besonderen Schreibbedingungen
In Betracht kommen hier insbesondere Pausung, freihändige Nachahmung, Neutralisierung, Verstellung und Entstellung.
Schlussfolgerungen
Schlussfolgerungen machen Aussagen über die Wahrscheinlichkeiten der Hypothesen. Bei günstigen Voraussetzungen des Schriftmaterials können die Schlussfolgerungen einen sehr hohen Sicherheitsgrad beinhalten. Ungünstige Voraussetzungen führen zu vorsichtigeren Wahrscheinlichkeitsaussagen. Unter Umständen muss die Untersuchungsfrage offen bleiben.
Formulierung der Schlussfolgerungen
Die Wahrscheinlichkeiten der Hypothesen werden sprachlich formuliert, sind aber nicht ohne Bezug auf das numerische Gerüst denkbar. Es handelt sich um subjektive Wahrscheinlichkeiten des Sachverständigen im Sinne eines rationalen Überzeugungsgrades.
Die Wahrscheinlichkeiten (W.) von Hypothese und Alternativhypothese verhalten sich wie folgt komplementär zueinander im 2-Hypothesen-Fall:
Hypothese |
Alternativhypothese |
an Sicherheit grenzende W. |
an Unmöglichkeit grenzende W. |
sehr hohe W. |
sehr niedrige W. |
hohe W. |
niedrige W. |
überwiegende W. |
mindere W. |
leicht überwiegende W. |
eher mindere W. |
indifferente W. |
indifferente W. |